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Eine kleine Geschichte zum Vorlese-Tag

Jedes Jahr im November setzt der Aktionstag ein öffentliches Zeichen für die Bedeutung des Vorlesens. Er soll Kinder und Erwachsene für Geschichten begeistern.

Hier eine kleine überlieferte Weisheitsgeschichte zum Vorlese-Tag. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.

„Der Engel und seine Federn“

Es war einmal ein Engel, der hatte große und wunderschöne Flügel. So weiß, wie die Federn eines Schwans und so strahlend hell, wie die Sonne. Dieser Engel machte sich auf den Weg zur Erde. Es war sein erster Flug dorthin und so war er sehr aufgeregt.

Als er nun über die Erde flog und all die schönen Dinge bestaunte, die Gott geschaffen hatte, fiel ihm ein Mensch auf, der in seine Richtung blickte. Von dieser Seltenheit angezogen – hatte er doch im Himmel gelernt, dass nur sehr wenige Menschen Engel sehen konnten – stellte er sich vor den Menschen und fragte: „Du kannst mich sehen?“ „Ja, ich kann dich sehen, auch wenn die Welt gleich für mich aussieht.“ Der Mann zeigte auf seine Augen. Er war blind. „Wie geht es dir dabei, wenn die Welt immer gleich aussieht?“ „Manchmal wünsche ich mir nichts mehr, als sie mit meinen Augen sehen zu können.“ Da schenkte der Engel ihm eine seiner Federn und sagte: „Sie wird dich sehen lassen“.

Auf seinem weiteren Weg, bemerkte er einen Menschen, der ihn zu hören schien. Von dieser Seltenheit angezogen – hatte er doch im Himmel gelernt, dass nur wenige Menschen Engel hören konnten – stellte er sich vor den Menschen und fragte: „Du kannst mich hören?“ „Ja, ich kann dich hören, auch wenn die Welt für mich immer still ist.“ Die Frau zeigte auf ihre Ohren. Sie war taub. „Wie geht es dir dabei, wenn sie immer still ist?“ „Manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als sie mit meinen eigenen Ohren hören zu können.“ Da schenkte der Engel auch ihr eine seiner Federn und sagte: „Sie wird dich hören lassen.“

Als er nun weiterflog, sah er einen Menschen, der seine Anwesenheit zu spüren schien. Von dieser Seltenheit angezogen – hatte er doch im Himmel gelernt, dass nur wenige Menschen Engel spüren konnten – stellte er sich vor den Menschen und fragte: „Du kannst mich spüren?“ „Ja, ich kann dich spüren, auch wenn die Welt meinem Körper keine Wärme gibt.“ Der Mann deutete mit seinem Kopf an sich hinunter, sein Körper saß in einem Rollstuhl. Er war gelähmt von seinem Hals ab. „Wie geht es dir dabei, wenn die Welt deinem Körper keine Wärme gibt?“ „Manchmal wünsche ich mir so sehr, die Sonnenstrahlen auf meinem Körper fühlen zu können und herumzutanzen bis mir die Füße wehtun.“ Da schenkte der Engel auch ihm eine seiner Federn und sagte: „Sie wird dich spüren und tanzen lassen.“

Der Engel flog über die ganze Welt und traf sehr viele Menschen, denen er eine seiner Federn schenkte. Menschen, die von einer Krankheit befallen waren, Menschen, denen es nicht gut ging. Eines Tages, als er dann ein kleines Mädchen traf, das blind war und alleine am Straßenrand saß, wollte er ihr eine Feder schenken. Doch er musste feststellen, dass er nur noch eine besaß und seine Flügel verschwunden waren. Traurig setzte er sich neben das Mädchen und schenkte ihr seine letzte Feder.

„Wie komme ich denn jetzt noch in den Himmel? Wie kann ich denn jetzt Gott nahe sein?“, dachte er traurig. Aber als sich die Augen des Mädchens öffneten und sie die Farben der Welt sah, strahlte sie heller, als die Flügel des Engels es je getan hatten. Ihr ganzer Körper lachte, strahlte und freute sich über jede einzelne Farbe, jeder einzelne Gegenstand, den sie begutachtete. Sie tollte auf den grünen Wiesen, schaute sich jede einzelne Blume an, sodass ihr ja keine Farbe entging und genoss es sehen zu können. Und plötzlich stand sie wieder vor dem Engel und sagte leise und nachdenklich: „Wieso hast du mir Deine letzte Feder geschenkt, obwohl du jetzt nicht mehr zurück in den Himmel kannst?“

Da lächelte der Engel, denn ihm war etwas klar geworden, als er die Freude des Mädchens gesehen hatte: „Weißt du“, sagte er, „dein strahlendes Gesicht hat mich Gott näher gebracht, als all die Jahre im Himmel.“

Und ihm war klar geworden, dass ein Engel keine Flügel besitzen und im Himmel leben musste, um ein Engel zu sein.

Zwar nur selten können Menschen Engel sehen, hören oder spüren, aber was viel wichtiger ist: Öfter können Menschen Engel sein, für die Menschen, denen sie etwas Gutes tun. Und macht nicht gerade diese Eigenschaft einen Engel aus?

Hand in Hand mit dem Mädchen ging er die Straße entlang, kein Engel mehr dem Aussehen nach, sondern ein Mensch.

Ein Mensch mit dem Herzen eines Engels.